Sonntag, 4. Oktober 2015

Übergriffe auf Christen und Yeziden in Asylunterkünften und ein Buch von Hamed Abdel-Samad

Während die Stimmung in der Bevölkerung angesichts der Flüchtlingskrise kippt, häufen sich in den Erstaufnahmestellen gewalttätige Übergriffe auf Christen und Yeziden. Zeitgleich erscheint ein umstrittenes Buch des ägyptischen Politologen und Publizisten Hamed Abdel-Samad. Diese Ereignisse haben mehr miteinander gemeinsam, als auf den ersten Blick ersichtlich ist.



Die Übergang von einer Refugees-Welcome-Euphorie zu einer sachlichen Thematisierung wurde verpasst

Zu Beginn der Flüchtlingskrise, als es zu rechtsradikalen Ausschreitungen in z.B. Freital kam, startete eine Welle beispielloser Solidarität, die klar signalisierte, dass im Deutschland des 21.Jahrhunderts kein Platz für fremdenfeindliche Attacken sein darf. Die bedingungslose Solidarität war angebracht.
Im Laufe der Zeit wurde aber der Absprung von bedingungsloser Solidarität zu einer sachlichen Auseinandersetzung verpasst. Während rechtsradikale in ihrer Ablehnung gegen Alles Fremde verharrten, verfiel die mediale Darstellung in eine regelrechte naive Popkultur, die Problematiken ausblendete und von Diversität und Differenzierung unter den Flüchtlingen nichts wissen wollte. Wie schon in der Griechenlandkrise wurde indoktrinativ eine Atmosphäre geschaffen, in der jeder der nicht 100% den Regierungskurs unterstützte, sich aus Angst vor Diffamierungen nicht mehr wagte zu äußern.
Bei der ganzen Polarisierung in bedingungsloses Dafür oder Dagegen hat man die Realität leider vergessen.
Es kommen Menschen hier her, keine Monster aber auch keine niedlichen Kuscheltiere, sondern Menschen mit teilweise starken Qualitäten aber auch teilweise krassen Fehlern. Wenn wir von der Zahl der 800.000 Flüchtlinge ausgehen, die Deutschland innerhalb eines Jahres erreichen sollen, dann entspricht das etwa der addierten Einwohnerzahl von Frankfurt am Main und Offenbach. Wer ernsthaft behauptet in diesen Städten würden ausschließlich Verbrecher oder ausschließlich engelsgleiche Wesen leben, würde lautstark ausgelacht. Genau so wurde aber bis vor einigen Wochen in der Flüchtlingsthematik verfahren.
Mittlerweile häufen sich Fälle, bei denen es in Asylunterkünften zu gewaltsamen Übergriffen von Muslimen sunnitischer Konfession auf Christen und Yeziden kommt. Geht es hier schließlich um strafrechtlich relevante Vergehen, erfordern sie unbedingt rechtliche Konsequenzen.
Wer Flüchtlinge vor Extremismus schützen will, muss alle Formen des Extremismus mit einbeziehen. Ebenso wie die Perlen von Freital und andere Initiativen gegen rechte Gewalt Unterstützung verdienen, braucht es Konsequenzen gegen die, im o.g. Link beschriebene, Form von Gewalt, die immer gehäufter auftritt.
Wer das abstreitet oder zu relativieren versucht, meint es nicht ernst mit der Solidarität.


Probleme ohne falsche Rücksichtnahme benennen

Zeitgleich sorgt die geplante Veröffentlichung von Hamed-Abdel Samads neuem literarischen Werk für Furore. Darin findet er harrsche Worte gegenüber der historischen Figur des Propheten Mohammed. Es dauert nicht lange und schon erscheint die erste Rezension von Daniel Bax im Spiegel, die weniger theologisch, sondern vielmehr ideologisch an sein Werk heran geht. Daher wird sie ihm auch nicht gerecht.
Dr. Abdel-Hakim Ourghi(Liberal-Islamischer Bund, Theologe und Islamgelehrter an der Pädagogischen Hochschule Freiburg
) adressiert daher nachstehende Worte an Daniel Bax:
"Herr Daniel Bax, Pegidaanhänger können doch keine muslimisch-arabische Quellen lesen. Oder sind sie etwa anderer Meinung? Mir scheint , dass der Autor des Artikels das Buch über Muhammad nicht gelesen hat. Möglicherweise überflogen, aber anscheinend auch nicht verstanden hat, was Hamed Abdel-Samad meint. Ganz zu schweigen von der eigentlichen Intention des Autors. Das ist keine seriöse Rezension, denn sie erwähnt nicht mal die verwendeten Quellen. Mir scheint auch, dass Herr Bax keinen Mut hat, denn er hat Hauptthesen des Buches nicht mal erwähnt. Lesen, Verstehen und Erklären . Keiner hat sie als Journalist nach ihrer subjektiven Meinung gefragt, Herr Bax."
Ourghi spricht hier etwas an, dass ganz exemplarisch ist. Kaum wird auch nur ansatzweise etwas oder jemand kritisiert, das auch nur vermeintlich mit dem Islam zu tun hat oder dies für sich selbst beansprucht, werden Stimmen laut, die auf unsachliche Weise mit Rechtsradikalismusvorwürfen und abwegigen Vergleichen versuchen eine Art ohnehin bestehender, fataler Kritikimmunisierung aufrecht zu erhalten. Ein Paradebeispiel ist der Versuch von Daniel Bax, Hamed-Abdel Samad in das Spektrum von PEGIDA und der AfD einzuordnen.
Ein weiteres Beispiel für diese Tabuisierung sind Vergleiche, die angesichts der gewalttätigen Übergriffe auf Christen, Yeziden und Muslime schiitischer Konfession (siehe Rubrik Zum Weiterlesen und Nachdenken) nun in allerlei Kommentarbereichen der sozialen Netzwerke zu lesen sind. Dort liest man Hypothesen, die unterstellen solche Gewaltausbrüche würde es auch geben, wenn man Friesen und Bayern oder Fussballfans verschiedener Vereine auf engem Raum zusammen bringen würde. Das mag ja eventuell sein, ist aber im Gegensatz zu den Übergriffen in den Asylunterbringungen nicht aktuelle Realität! Angesichts der Vorkommnisse solche Konjuktive aus der Glaskugel anzuführen, die durch keinerlei Präzedenzfälle oder empirische Studien belegt werden können, sind realitätsverweigernde sachundienliche Themenwechsel in Reinform. Es geht konkret nicht um Fussballfans, Bayern, Schwaben, Sachsen, Friesen, Ferengi, Borg oder Klingonen. Es geht darum, dass sich Fälle häufen, in denen Muslime sunnitischer Konfession gegenüber Angehörigen allerlei anderer Konfessionen offenkundig religiös-extremistisch motiviert gewalttätig werden. Genau von dieser überdeutlichen Grundlage aus und nicht anders, muss an dieses Thema heran gegangen werden. Oder würden die Damen und Herren Relativierer und Verharmloser etwa die Anschläge aus dem rechtsextremen Spektrum herunterspielen, indem sie themenfremde Vergleiche zu den tödlichen Auseinandersetzungen zwischen ägyptischen Fussballfans in Port Said aus dem Februar diesen Jahres anführen?
Wenn es um die Thematisierung rechtsextremer Ausschreitungen in Freital geht, sind ägyptische Fussballfans ebenso deplatziert wie es deutsche Fussballfans oder "Lokalpatrioten" sind, wenn islamistische und konservativ sunnitische Flüchtlinge gegenüber Asylbewerbern anderer Religionen oder Konfessionen gewalttätig werden.
Ein Blick in die sozialen Medien offenbart dann auch die Logik der relativierenden Dogmatiker, die sich selbst für die Krone der toleranten Gesellschaftsschicht halten. Sträuben sie sich einerseits vehement gegen das Benennen der religiös konservativen bis religiös extremistischen Gruppen, aus der die Gewalt von Asylbewerbern gegen andere Asylbewerber kommt, sind sie andererseits oft nicht darum verlegen vier Millionen Sachsen für die rechtsextremen Ausschreitungen in Sippenhaft zu nehmen, indem sie beispielsweise das Wort "Sachse" synonym mit "Nazi" verwenden oder ein Revival der deutschen Teilung fordern. Sie teilen die Welt aus, an Dogmen grenzenden, ideologischen Beweggründen in akzeptable und inakzeptable Pauschalierungsrisiken und noch viel schlimmer; in akzeptablen und inakzeptablen Extremismus. Wenn Sachsen in der Lage zu Initiativen gegen Rechtsextremismus sind, wie es die z.B. "Perlen von Freital" unter Beweis stellen, warum sollte man sich dann nicht wünschen oder gar erwarten dürfen, dass Muslime Initiativen gegen gewalttätige Übergriffe der Extremisten aus ihren Reihen auf Andersgläubige in Asylunterbringungen ins Leben rufen?
Ein weiteres Relativierungsargument liegt darin, den Grund für die gewalttätigen Übergriffe allein in der räumlichen Enge der Erstaufnahmestellen zu suchen. Das lässt sich zunächst weder beweisen noch widerlegen. In Anbetracht von a.) dem gehäuften Auftreten von Angriffen islamistischer und konservativ sunnitischer Asylbewerber auf Andersgläubige, und b.) dem Präzendenzfall der letzten großen Flüchtlingswelle während des Jugoslawienkriegs Anfang der 1990er, als katholische Kroaten, muslimische Bosniaker und orthodoxe Serben, die in der Heimat gegeneinander Krieg führten, in den deutschsprachigen Raum flüchteten. Ein derart gehäuftes und beinahe immer von einer Gruppe ausgehendes Verhalten blieb damals aus. Kommt den beengten Raumverhältnissen wahrscheinlich eine, wie Max Klingberg von der IGFM (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte) richtig feststellt, Akzeleratorenrolle zu, ist der ursächliche Grund, das liegt auf der Hand, religiöser Fanatismus und Extremismus.
Festzustellen, wer wirklich vor der Ideologie des IS flieht und somit Asyl und bedingungslose Solidarität verdient, und wer eine Ideologie des gewalttätigen religiösen Extremismus, ähnlich der des IS importiert, und somit, wie viele Politiker fordern "sein Recht auf Asyl verwirkt" ist die Pflicht eines freiheitlichen europäischen Staates des 21.Jahrhunderts. Es darf nicht zugelassen werden, dass die Ideologie, vor der viele hierher fliehen, sich auf der anderen Seite unter dem Deckmantel der Toleranz ausbreiten darf.
Wer nicht Flüchtlinge nicht vor Islamisten schützen will, der kann sie auch vor Nazis nicht bewahren. Wer islamistischen Extremismus schön redet statt ihn anzugehen, bekämpft keine Nazis, sondern macht sie stärker.



Chancen der islamischen Theologie, was das mit Hamed Abdel-Samads Buch zu tun hat und sie praktisch umsetzen kann...und wer nicht

Zeitgleich sorgen TV-Auftritte Hamed Abdel-Samads anlässlich des Erscheinens seines neuen Buches für Furore. Darin zeichnet er ein düsteres Bild des Propheten Mohammed.
Ebenso wie die Form der Kritik an seinem Werk Parallen zum vorangegangenen Abschnitt aufweist, führt auch eine Kernthese Abdel-Samads zurück zum Thema "Ausschreitungen in Asylunterkünften".
In der Tat verwendet Abdel-Samad in seinem Werk sehr harte, oft überspitzte Formulierungen. Letztendlich behält er in der Quintessenz der Kritik an der Sunna aber Recht.
Das bedeutet nicht, dass der Islam nicht die Möglichkeit eines friedlichen und verfassungskonformen Zusammenlebens böte.
Das tut er sehr wohl. Man müsste dazu allerdings auf Schriften und Exegesemöglichkeiten zurück greifen, die z.Zt. die absolute Ausnahme sind. Dazu müsste beispielsweise eine Hinwendung zum Sufismus oder eine stärkere Betonung des heiligen Hussein oder der heiligen Zainab stattfinden. Die Sunna ist hochproblematisch, weil sie, und an diesem Punkt hat Abdel-Samad Recht, dazu aufruft, das Leben eines frühmittelatlerlichen Feldherren nachzuahmen. Auch das muss nicht zu einer generellen Ablehnung ihr gegenüber führen. Wenn sie exegetisch aufgeschlüsselt, in einer beziehungstheoretischen Interpretation gelehrt würde, hat sie auch in einem aufgeklärt humanistischen Europa eine Chance.
Von der Verbreitung einer derartigen Interpretation sind wir aber meilenweit entfernt.
Dass wir davon meilenweit entfernt, verdanken wir in erster Linie den hiesigen Islamverbänden und deren Unterstützer in Politik und Kirchverbänden. Die vier größten, in Deutschland sunnitisch geprägten, Islamverbände dienen weiten Teilen der Politik und Gesellschaft als Partner, streuben sich jedoch gegen jegliche Formen von Kritik oder auch nur Exegese. Keine Kritik zuzulassen, bedeutet Stillstand. Ohne Exegese kann es dann wiederum keine beziehungtheoretische Auslegung der Sunna geben.
Um das zu verstehen, muss man wissen, dass die Intention der großen Islamverbände DITIB, Millî Görüş, VIKZ und ZDM nicht theologischer sondern politischer Natur ist. Sie orientiert sich an der Politik der Staaten, die sie finanzieren und an nichts anderem. Diese Staaten brauchen auf einer pragmatischen Ebene des Machterhalts eine wortwörtliche exegesefeindliche Interpretation des Koran. Deswegen sind sie als Partner in Sachen Integrationspolitik eigentlich maximal ungeeignet. Sie fördern Segregation und reißen, ohnehin bereits bestehende Gräben zwischen den Religionen und verschiedenen Einwanderergruppen noch weiter auf. Sie in die Flüchtlingpolitik mit einzubinden, wie es Integrationsministerin Aydan Özoğuz fordert, ist ein Freibrief für zusätziche Radikalisierung und das Gegenteil von Deeskalation. Das Einfluß von Geistlichen, die eine exegesefeindliche Religionsinterpretation vermitteln, kann keinen friedliches Zusammenleben fördern. Sie verstärkt Ressentiments und ablehnendes Verhalten.
Der Schlüssel muss die Förderung von unabhängigen Islambündnissen wie z.B. dem Liberal-Islamischen Bund, dem Muslimischen Forum oder der Initiative 12th MemoRise sein, die offen für Exegese und Kritik sind. Nicht nur den gerade ankommenden muslimischen Flüchtlingen sondern auch anderen Migranten täte diese entpolitisierte, offene und spirituell betonte Art gut.
Genau aus solchen liberalen und spirituell ausgerichteten unabhängigen Islambündnissen müssen Geistliche in die Erstaufnahmestellen entsendet werden, um nach den o.g. Prinzipien auf die muslimischen Flüchtlinge einzuwirken.




Zum Weiterlesen und Nachdenken
1.) Peter Mühlbauer: Hamburg: Übergriffe auf jesidische und christliche Asylbewerber - Kurdische Linken-Abgeordnete fordert getrennte Unterkünfte
2.) POL-MK: Körperverletzung bei REWE
3.)Freia Peters: Radikale Muslime - Wie Christen in Flüchtlingsheimen gemobbt werden
4.)Ida Haltaufderheide: „Kann mich nicht zum Glauben bekennen“: Wie es Christen in Flüchtlingsheimen ergeht
5.)Claus Christian Malzahn: Zentralrat der Juden warnt vor arabischem Antisemitismus
6.) Bekehrungsversuche: Christen verlassen Notunterkunft
7.) Samiras Welt: Als Angela rief, legten die Völker die Waffen nieder



Note bene aus den Facebookbeiträgen von Jaklin Chatschadorian

1.)
"Es ist unfassbar bitter. Meine Eltern haben einen der ersten Gastarbeiter-Züge nach Deutschland genommen, um der Religion der anderen und der auf Religion und Nationalismus beruhenden Diskriminierung, der Schlechterbehandlung und der Lebensgefahr zu entkommen.
Und heute sind sie in einem Land, in der man sich tagtäglich mit eben dieser Religion befassen muss, aufgrund der man so viel Leid erfahren hat. Man muss aufpassen, denen, die in den eigenen Lebensraum ungefragt eindringen, nicht zu nahe zu treten.
Und die Vertreter, Verteidiger und Verursacher dieser Belastung sind nicht nur die gleichen Geisteskinder, vor denen man geflohen ist, sondern auch jene, die dieses Leid selbst nicht erfahren haben und von einem theoretischen Blickwinkel, verantwortungslos mitgestalten, mitzerstören.
Warum ist die Religion dieser Menschen nicht ebenso Privatsache, wie die der anderen in diesem Land? Warum setzen wir dieser Aufdringlichkeit kein Ende? Die Grenze gibt uns das Grundgesetz doch schon vor."



2.)
"Sprichst du die türkische oder arabische Sprache? Lebst du mit Menschen aus diesem Sprachraum, die sich von denen, die dich geformt haben, bewusst abkapseln, zusammen? Oder bist du mit ihnen aufgewachsen? Hast du Menschen aus einem dir fremden, streng dogmatischen Kulturkreis mit sehr engen Moralvorstellungen mal auf unangenehme Themen angesprochen oder beschränkt sich der Kontakt allenfalls auf ein gemeinsames orientalisches Essen oder den letzten Urlaub?
Vielleicht bist du nur derjenige, der aufgrund seines eigenen Status und Werdegangs nur zurechtgestutzte Antworten auf seine Fragen erhält. Hast du mal fundierte Kritik ausgeübt und wirklich nie eine Reaktion erhalten, die dich überrascht oder schockiert hat? Weißt du, inwieweit Gewalt als erster statt als letzter Ausweg in orientalischen Kreisen üblich ist?
Kennst du ihre Wertvorstellungen und teilst du diese, auch dann wenn sie gegen Deine Einstellung zum Leben gehen? Bist du bereit, die Beschränkungen im Leben, die sie für sich in Anspruch nehmen, auch dann hinzunehmen, wenn sie diese nicht nur von dir, sondern von allen erwarten? Wo ist deine Grenze?
Hast du mal Hass verspüren dürfen, der explizit gegen dich gerichtet ist, und sich auf gottgegebene Umstände bezieht, die du nicht beeinflussen kannst; etwa weil du zu einer bestimmten Ethnie gehörst?
Wieso also setzt du dich für etwas ein, dass dir unbekannt ist?
Wieso glaubst du, der andere habe die gleichen hehren Interessen und Motive wie du?
Unterstelle niemanden etwas, nur weil dieses etwas für dich selbstverständlich ist."


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